Wien (OTS) – Angesichts gesellschaftlicher und demografischer
Veränderungen steht
die Erwachsenenpsychiatrie in den Wiener Krankenhäusern vor
dramatischen Herausforderungen. Alleine in den nächsten zehn Jahren
geht ein Drittel der angestellten Fachärztinnen und -ärzte in
Pension, doch der Nachwuchs fehlt oder bleibt nach der Ausbildung
nicht im Spital. Hinzu kommt noch ein hausgemachter Sonderfall
zwischen den Spitälern des Wiener Gesundheitsverbunds (WIGEV) und dem
Psychosozialen Dienst (PSD), der ebenfalls von der Stadt Wien
betrieben wird.
„Die Tatsache, dass Psychiaterinnen und Psychiater, die im WIGEV
angestellt sind, vom PSD mit attraktiveren Arbeitsbedingungen,
höheren Löhnen und keinerlei Verpflichtungen für Nachtdienste
abgeworben werden, verschärft die Situation im stationären Bereich in
den Spitälern umso mehr“, stößt diese Vorgehensweise der Stadt Wien
auf großes Unverständnis bei Eduardo Maldonado-González,
Vizepräsident der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien und Obmann
der Kurie angestellte Ärzte.
„Erwachsenenpsychiatrie ist ein akutes ‚Mangelfach‘ in Wiens
Spitälern, teilweise auch aufgrund dieses Vorgehens der Stadt“,
betont Maldonado-González. „Erfahrene Fachärztinnen und -ärzte ebenso
wie Nachwuchskräfte verlassen den Spitalssektor aufgrund besserer
Bedingungen in anderen Arbeitsbereichen. Es fehlt im stationären
Bereich an attraktiveren Arbeitsbedingungen, einer realistischen
Personalbedarfsplanung und einer modernen, praxisnahen Ausbildung.
Mit der Umsetzung des ‚Zweier-Gehaltspakets‘ könnten die
Arbeitsbedingungen zusätzlich verbessert werden, allerdings wurde die
versprochene Umsetzung noch nicht einmal angekündigt.“
Johannes Steinhart, Präsident der Kammer für Ärztinnen und Ärzte
in Wien: „Durch die steigende Zahl von Patientinnen und Patienten mit
komplexen psychiatrischen Erkrankungen, die demografische Entwicklung
und den Fachkräftemangel lässt sich die schon jetzt prekäre
Versorgungslage im Wiener Gesundheitssystem nur schwer
aufrechterhalten. In der Erwachsenenpsychiatrie in den Spitälern sind
daher gezielte Maßnahmen erforderlich sowie ein Überdenken der
bisherigen Vorgehensweise der Stadt, um die Versorgung langfristig
sicherzustellen und die Versorgungsqualität zu verbessern.“
„Konkret fordern wir zwei Maßnahmen, die kurz- sowie
mittelfristig die Situation in der stationären Erwachsenenpsychiatrie
in Wien verbessern könnten“, so Maldonado-González:
1.
Verbesserung der Arbeitsbedingungen
„Das Spital muss als Arbeitsplatz für Psychiaterinnen und Psychiater
deutlich attraktiver werden. Wichtigster Schlüssel sind hier die
Arbeitsbedingungen: von verbesserten Arbeitszeitregelungen über
bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie bis hin zu fairer
Bezahlung für diesen außerordentlich fordernden Spitalsberuf. Zudem
muss sich die Stadt Wien überlegen, ob sie sich weiterhin selbst die
Fachkräfte abwerben möchte und eine zusätzliche Verschärfung der
Situation im stationären Bereich riskiert.“
2.
Bessere Abstimmung der stationären und ambulanten Versorgung
„Um die psychiatrische Versorgung für die Wiener Bevölkerung zu
verbessern und die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient
einzusetzen, braucht es eine besser abgestimmte Zusammenarbeit
zwischen allen Einrichtungen im psychosozialen und psychiatrischen
Bereich. Die Menschen müssen durch das Wiener Gesundheitssystem
begleitet werden, um das individuell beste Versorgungsangebot zu
finden – ob im niedergelassenen Bereich, in der ambulanten Betreuung
oder im Spital. Für eine möglichst niederschwellige Versorgung ist
auch der Ausbau der Psychotherapie auf Kasse notwendig“, erklärt
Vizepräsident Maldonado-González.
Lisa Leutgeb, 1. Stellvertretende Kurienobfrau der angestellten
Ärzte und selbst Fachärztin in Ausbildung für Psychiatrie in der
Klinik Floridsdorf, unterstreicht: „Uns ist es wichtig, im Dialog mit
allen Partnern im Gesundheitssystem tragfähige Lösungen zu
entwickeln. Ein wichtiger Schritt wäre die Refundierung aller
Ausbildungskosten, insbesondere im Bereich Psychotherapie.“
Eduardo Maldonado-González stellt abschließend fest: „Um die
Erwachsenenpsychiatrie zu stärken und einen erfolgreichen
Generationswechsel in den Wiener Spitälern zu ermöglichen, braucht es
jetzt gezielte Reformen und dringend eine lösungsorientierte
Zusammenarbeit aller Partner im Gesundheitssystem.“