„Stadt der Spione – Wien im Netz der Geheimdienste“: „Menschen & Mächte“ arbeitet Spionagetätigkeit im Nachkriegsösterreich auf

Wien (OTS) – Giftanschläge, Entführungen und Morde: Wien gilt als
eine Hauptstadt
der Spionage im Kalten Krieg. Dazu beigetragen hat der Kinoklassiker
„Der Dritte Mann“, der 1949 in die Kinos kommt und dabei ein
realistisches Bild der Unterwelt im Wien nach dem Zweiten Weltkrieg
zeichnet. Die Stadt an der Donau entwickelt sich damals zum wichtigen
Knotenpunkt zwischen Ost und West, wo die Supermächte und ihre
Verbündeten um Einfluss und Macht kämpfen. Die neue „Menschen und
Mächte“-Doku „Stadt der Spione – Wien im Netz der Geheimdienste“
liefert am Mittwoch, dem 18. Juni 2025, um 22.30 Uhr in ORF 2 und auf
ORF ON eine umfassende Aufarbeitung der Spionagetätigkeit im
Nachkriegsösterreich. Die Gestalter Georg Ransmayr und Gregor
Stuhlpfarrer sind bei ihren Recherchen tief in die Welt der
Geheimdienste eingedrungen. Spione, Agenten und Terrorfahnder sowie
exklusiv der ehemalige Innenminister Karl Blecha schildern, was sich
in Wien am Höhepunkt des Kalten Krieges abgespielt hat. Um 23.20 Uhr
folgt die „Menschen & Mächte“-Doku „Die Akte Noricum – Österreichs
geheime Waffengeschäfte“.

Eine der spektakulärsten Geheimdienstoperationen der Geschichte
geht 1951 in Wien über die Bühne. Mit dabei ist ein junger Soldat,
der 40 Jahre später der letzte britische Botschafter in der UdSSR war
– und kurze Zeit später der erste im neuen Russland wurde: Rodric
Braithwaite. Im ORF-Exklusiv-Interview erinnert sich der heutige Sir
Rodric daran, wie er und andere über eine internationale
Telefonleitung Gespräche sowjetischer Offiziere in Wien abgehört
haben, nachdem der britische Militärgeheimdienst ein unterirdisches
Telefonkabel angezapft hatte. „Wir saßen in einem Keller unter dem
Aspanger Bahnhof mit unseren Kopfhörern“, schildert der 1932 geborene
Braithwaite. „Dieses Modell der Wiener Tunneloperationen war so
erfolgreich, dass es Anfang der 1950er Jahre in Berlin von Briten und
Amerikanern wiederholt wurde“, sagt der Historiker Oliver Rathkolb.

Braithwaite hat Wien zu Beginn der 1950er Jahre hautnah erlebt.
Das war die Zeit, als der Kinofilm „Der Dritte Mann“ die Stadt als
Tummelplatz der Schmuggler und Militärpolizisten porträtierte. Erst
Jahrzehnte später wurde klar, dass das Dritte-Mann-Filmteam mit
Spionen durchsetzt war, die bei den Dreharbeiten „Feindaufklärung“
betrieben haben. Die meisten Crew-Mitglieder bekamen davon nichts
mit: „Keiner von uns wusste, dass es diese Verbindungen gab”, sagt
Angela Allen, das letzte noch lebende Crew-Mitglied, im Interview mit
„Menschen & Mächte“.

In den späten 1960er Jahren entwickelt sich eine weitere
geheimdienstliche Spielart, bei der Wien eine Schlüsselposition
einnahm – der Schmuggel mit Hochtechnologie von West nach Ost. Ein
junger wissenschaftlicher Mitarbeiter im Reaktorzentrum Seibersdorf
entschied sich damals dafür, mit dem ostdeutschen Geheimdienst
„Stasi“ Geschäfte zu machen. Sein Interview für den ORF gab er nur
unter einem Decknamen – in seinem Fall „D. Carlos“: „Rückblickend
darf ich sagen: Das war das gefährlichste Geschäft meines ganzen
Lebens“, erinnert sich Carlos an die Beschaffung und den Schmuggel
eines Spektrometers zur Messung radioaktiver Strahlung über die
Tschechoslowakei in die DDR. Übergeben wurde die hochmoderne
Gerätschaft in einem Waldstück hinter dem Eisernen Vorhang in der
ČSSR: „Plötzlich von links und von rechts und von vorne kamen einige
Männer in schwarzen Ledermänteln. Und aus einer Limousine stiegen
zwei Herren, die sich als Wissenschaftler vorstellten und das
Spektrometer übernahmen.“

Wie viele Agenten im Schattenkrieg der Geheimdienste in Wien
umgekommen sind, weiß niemand. Rätselhaft ist bis heute das
Verschwinden eines US-Agenten bei einer missglückten Operation. Das
Opfer war ein russischer Marineoffizier, der in jungen Jahren aus der
Sowjetunion nach Schweden geflohen war. Sein Name: Nicholas Shadrin.
Jahrelang versorgte dieser den KGB – unter Aufsicht der CIA – mit
falschen Informationen. Doch die Sowjets durchschauten das
Doppelspiel und lockten Shadrin im Dezember 1975 in eine Falle. KGB-
Agenten betäuben ihn in einem Wagen, um ihn in die Tschechoslowakei
entführen und dort verhören zu können. Doch das eingesetzte Präparat
ist überdosiert und der Überläufer stirbt. „Der Fall Shadrin war eine
der größten Niederlagen, die die CIA in Wien hinnehmen hat müssen“,
analysiert Geheimdienstexperte Thomas Riegler.

Wie viel hat aber eigentlich die österreichische Staatspolizei in
all den Jahren mitbekommen? Sie soll zum Teil ganz gut informiert
gewesen sein, meinen Insider. Personell war die Stapo aber
überfordert. In den 1970er Jahren standen den rund 100
Staatspolizisten in Wien mehrere tausend Spione und Spioninnen
gegenüber, viele von ihnen gut getarnt in Botschaften oder
internationalen Organisationen, andere in illegalen Residenzen.
Angesichts dessen konnte die Staatspolizei froh sein, dass ihr
Zuständigkeitsbereich eingeschränkt war. In Österreich ist Spionage
bis heute nur dann strafbar, wenn sie zum Nachteil Österreichs
geschieht.

Albert Stangl, in den 1980er Jahren Referatsleiter in der Wiener
Staatspolizei, war als Spezialagent des langjährigen Stapo-Chefs
Albert Schulz an vorderster Front: „Damals, als ich der Staatspolizei
zugeteilt war, kam eine Sache nach der anderen: der Mord an Stadtrat
Heinz Nittel, davor der Synagogenüberfall und später die Kurdenmorde
1989.“ Heute lebt Stangl zurückgezogen auf einer spanischen Insel und
spricht im ORF-Interview erstmals über seine schillernde
Vergangenheit als Top-Agent mit geheimen Sonderaufgaben im In- und
Ausland. Auch Oswald Kessler, der Chef der Staatspolizei Anfang der
1990er Jahre, kommt zu Wort. Er berichtet über Österreichs Rolle bei
der Terrorbekämpfung: „Die ausländischen Dienste haben unsere Arbeit
sehr geschätzt“.

Als neutrales Land mit moderater West-Anbindung und großer
geopolitischer Bedeutung im Herzen Europas statteten alle wichtigen
Geheimdienste der Welt ihre Teams in Wien überdurchschnittlich gut
aus. Als Sitz großer, multilateraler Organisationen wie der
Internationalen Atomenergiebehörde, der OPEC und der UNO stand Wien
immer im Fokus der Nachrichtendienste.
Österreichische Politiker und Politikerinnen schätzten die
Sonderrolle, die das neutrale Österreich spielte – kannten aber auch
deren Schattenseite: „Telefone wurden, wurscht wo, abgehört“,
erinnert sich Karl Blecha, der von 1983 bis 1989 SPÖ-Innenminister
war. „Es gab kein Telefon, das nicht von interessierten
Geheimdiensten genutzt und ausgewertet wurde.“ Blecha war für die
Sicherheitsinteressen der Regierung Kreisky an vorderster Front.
Höchstpersönlich pflegte er Kontakte z. B. zum PLO-Geheimdienstchef
Abu Iyad, aber auch zum britischen Geheimdienst MI-6 und dessen
oberstem Anti-Terror-Chef Hamilton Macmillan.

Für die neue „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Stadt der Spione
– Wien im Netz der Geheimdienste“ haben die Gestalter Georg Ransmayr
und Gregor Stuhlpfarrer nicht nur in Österreich, sondern auch in
Deutschland, Ungarn und Spanien recherchiert.

Menschen & Mächte: „Die Akte Noricum – Österreichs geheime
Waffengeschäfte“ (23.20 Uhr)

Eine Kanone „Made in Austria“, mehrere mysteriöse Todesfälle und
ganz viel Geld: Das sind die Zutaten für eine der brisantesten
politischen Affären der 1980er Jahre, der sich die „Menschen &
Mächte“-Dokumentation von Georg Ransmayr und Gregor Stuhlpfarrer
nähert. Im Zentrum des Skandals: Die Waffenschmiede Noricum, eine
Tochterfirma der staatlichen Voest Alpine. Sie exportiert – trotz
Österreichs Neutralität – Waffen an kriegsführende Länder. Mit Wissen
hochrangiger Politiker, etwa der Regierungschefs Bruno Kreisky und
Fred Sinowatz sowie weiterer Minister. Um die Geschäfte nicht zu
gefährden, sagten Politiker und Voest-Manager über Jahre in aller
Öffentlichkeit die Unwahrheit. Bis die Beteuerungen nicht mehr
aufrechtzuerhalten waren.