Wien (PK) – Zur humanitären Krise im Gazastreifen sprachen sich die
Abgeordneten
heute im Nationalrat einstimmig für einen Antrag von ÖVP, SPÖ, NEOS
und Grünen aus. Geht es nach den Parlamentsfraktionen, soll sich die
Bundesregierung für einen ungehinderten und sicheren Zugang für
humanitäre Hilfsleistungen in den Gazastreifen und demnach für die
Einhaltung des Völkerrechts vonseiten Israels einsetzen. Die Grünen
bezogen sich mit einem Antrag auf Ergebnisse eines
menschenrechtlichen Prüfberichts der EU-Kommission und forderten
darüber hinaus, sich auf EU-Ebene für eine temporäre Aussetzung des
EU-Assoziierungsabkommens mit Israel auszusprechen. Der Antrag der
Grünen blieb in der Minderheit.
Um bei der laufenden Autonomiereform Südtirols die deutsch- und
ladinischsprachigen Volksgruppen zu unterstützen, fassten ÖVP, SPÖ,
NEOS und Grüne zudem eine Vier-Parteien-Entschließung. Die FPÖ
wiederum warnte vor Rückschritten und machte einen neuen Anlauf für
die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler:innen.
Die entsprechenden zwei Anträge der Freiheitlichen blieben gegen die
Stimmen der anderen Parlamentsparteien in der Minderheit.
Humanitäre Hilfsleistungen in den Gazastreifen
Die Entschließung für einen ungehinderten Zugang für humanitäre
Hilfsleistungen in den Gazastreifen und für die Einhaltung des
Völkerrechts vonseiten Israels war von ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen
initiiert worden. Mit einem Abänderungsantrag im Ausschuss wurde mehr
Bezug auf eine Beteiligung der Vereinten Nationen an der Verteilung
der Hilfsgüter genommen. Den Abgeordneten geht es etwa auch darum,
dass diplomatische Bemühungen für einen dauerhaften Waffenstillstand
unterstützt werden und die Zweistaatenlösung vonseiten Österreichs
weiterhin bekräftigt wird. Auch wenn dieses Ziel derzeit weit
entfernt liege, sei die Zweistaatenlösung die beste Chance für die
Bekämpfung von Extremismus und für langfristige Sicherheit im Nahen
Osten, so die gemeinsame Haltung.
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger zufolge sei es völlig klar,
dass sie auf der Seite des Völkerrechts, insbesondere des
humanitären, stehe, und Israel dieses einzuhalten habe. Die
humanitäre Lage in Gaza sei katastrophal, aber eine Aussetzung des
Assoziierungsabkommens mit Israel würde den Palästinensern nicht
helfen, meinte sie zum Antrag der Grünen. Vielmehr gelte es, im
Dialog dafür zu sorgen, dass es endlich zu Lösungen für den Frieden
komme. Die Hamas müsse endlich bereit sein, die verbliebenen Geiseln
freizulassen. Man stehe jedenfalls an der Seite Israels im Kampf um
dessen Existenzsicherung, hielt sie fest. Zugleich dürfe die
palästinensische Bevölkerung nicht den Preis für die Gräueltaten der
Hamas zahlen, so die Ministerin. Es brauche alle Anstrengungen für
politische Lösungen. „Vertreibungsrhetorik und -pläne“ vonseiten der
israelischen Regierung seien aus ihrer Sicht „völlig inakzeptabel“.
Hinsichtlich der Hilfslieferungen müsse sichergestellt werden, dass
diese nicht in die Hände der Hamas kommen. Im Sinne eines politischen
Prozesses für die Region nannte Meinl-Reisinger Aspekte aus dem
„arabischen Plan“, der als gute Grundlage dienen könne. Mit dem
jüngsten EU-Dialog mit Israel habe sich gezeigt, dass die Dinge für
einen politischen Prozess in Bewegung kommen würden. Es gelte,
politisch alles daranzusetzen, dass in der Region Frieden und
Stabilisierung geschaffen werde.
Angesichts der besorgniserregenden Lage in Gaza sei es „höchste
Zeit“ für einen dauerhaften Waffenstillstand, sagte Carina Reiter (
ÖVP). Eine Zweistaatenlösung bleibe für sie weiterhin die zentrale
Perspektive. Es müsse ausgeschlossen sein, dass es nochmals
Terrorangriffe auf Israel gebe. Man stehe an der Seite Israels,
zugleich sei die Möglichkeit der Kritik ein unverzichtbares Merkmal
einer demokratischen Gesellschaft, so Reiter.
Das heutige Gedenken an Srebrenica sei zugleich ein Aufruf, zu
Verletzungen von Völkerrecht und Menschenrechten nicht zu schweigen,
so Pia Maria Wieninger (SPÖ). Das betreffe auch die unerträgliche
Situation in Gaza. Es gelte, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen,
dass die palästinensische Zivilbevölkerung nicht den Preis der
Angriffe der Hamas zahle. Die Vertreibungspläne der israelischen
Regierung gegenüber den Palästinenser:innen würden ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit darstellen und müssten als solches benannt
werden, sagte Muna Duzdar (SPÖ).
Henrike Brandstötter (NEOS) wies auf die humanitäre Tragödie in
Gaza hin. Menschen seien beim Versuch gestorben, Lebensmittel zu
erhalten. Israel habe nun aber eingelenkt, etwa, was die
Verteilzentren betrifft. Zum Antrag der Grünen meinte sie, es brauche
nicht „die nächste Schlagzeile“, sondern Hilfe, die verlässlich sei.
Solange die Hamas in Gaza an der Macht sei, bleibe der Weg für
echte Veränderung versperrt, meinte Meri Disoski (Grüne). Die Taten
der Hamas seien unmissverständlich zu verurteilen, zugleich dürfe
Israel nicht von der völkerrechtlichen Verantwortung entbunden
werden. Werner Kogler (Grüne) würdigte die diplomatischen Bemühungen
der Außenministerin. Mit dem eingebrachten Antrag der Grünen gehe es
darum, dass auf europäischer Ebene Zeichen gesetzt werden sollen.
Jede Sekunde, die es Frieden früher gebe, sei eine gewonnene
Sekunde, so Axel Kassegger (FPÖ). Das gelte für alle Kriege auf
dieser Welt, sprach er etwa auch die Ukraine an. Ihm zufolge sollte
aber vermieden werden, Doppelstandards anzuwenden, indem man selbe
Sachverhalte unterschiedlich behandle. Der geopolitischen
Verfestigung von „die Guten gegen die Bösen“ könne er nichts
abgewinnen. Er ortete „Worthülsen“ und sehe für ein „kleines,
neutrales Land“ die Außenministerin in diesem Zusammenhang „den
falschen Weg“ einschlagen.
Entschließung zur Autonomiereform in Südtirol
Auf Basis eines Vier-Parteien-Antrags fassten ÖVP, SPÖ, NEOS und
Grüne außerdem eine Entschließung zu Südtirol . Im Rahmen der dort
laufenden Autonomiereform sollen die deutsch- und ladinischsprachigen
Volksgruppen in Südtirol gegenüber der italienischen Regierung
weiterhin aktiv vonseiten Österreichs in Ausübung seiner
Schutzfunktion unterstützt werden, fordern sie. Der Reformprozess
wird von ihnen grundsätzlich positiv gesehen, zumal unter anderem
geplant sei, verlorene Kompetenzen, etwa durch die italienische
Verfassungsreform 2001, wiederherzustellen. Den vier Parteien sind
außerdem regelmäßige Informationen von Außenministerin Beate Meinl-
Reisinger über den Reformprozess ein Anliegen.
Demgegenüber ortet die FPÖ in den Reformplänen eine teilweise
Abkehr von jenen Autonomiestandards, die mit der Streitbeilegung
zwischen Österreich und Italien 1992 erreicht wurden. Eine Rückkehr
zu diesen Standards sollte ihr zufolge eine verbindliche Grundlage
für jede Reform des Autonomiestatuts bilden. Einen neuen Anlauf
machen die Freiheitlichen außerdem für die Möglichkeit einer
Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler:innen. Beide Anträge der FPÖ
blieben gegen die Stimmen der vier anderen Fraktionen in der
Minderheit.
Österreich werde weiterhin seiner Schutzfunktion nachkommen und
darauf schauen, dass die Region mit Kompetenzen gestärkt werde, sagte
Josef Hechenberger (ÖVP). Die Verantwortung für die Schutzfunktion
nehme man sehr ernst, so Jakob Grüner (ÖVP). Die Standards, die 1992
in Südtirol geschaffen worden seien, seien wichtig. Selma Yildirim (
SPÖ) hob die Autonomie Südtirols als „Erfolgsgeschichte“ hervor. Sie
sei ein internationales Vorzeigemodell für Minderheitenschutz und
friedliche Konfliktbeilegung. Man dürfe diese Erfolgsgeschichte nicht
mit „nationalistischem Geplänkel“ konterkarieren. Die „Spalterei“ der
FPÖ habe nichts mit dem Autonomiepaket zu tun, kritisiert auch
Dominik Oberhofer (NEOS) die Freiheitlichen. Barbara Neßler (Grüne)
warf der FPÖ vor, „bewusst in alten Wunden zu stochern“. Der Antrag
der Freiheitlichen würde die Autonomie Südtirols schwächen und dort
spalten, wo es Brücken brauche.
Es gehe darum, die Minderheitenrechte und damit die Identität
„unserer historischen Volksgruppe“ zu schützen, meinte Christofer
Ranzmaier (FPÖ). Es gebe aber seitens der Regierung kein kritisches
Hinterfragen von dem, was als Reform am Tisch liege, bemängelte er.
Etwa bei den Punkten Proporz, demokratische Mitbestimmung und
kulturelle Selbstbestimmung sei in der Reform vieles vergraben, das
man noch hätte beseitigen können. Mit einer aktiven Ausübung der
Schutzfunktion hätte man aus seiner Sicht noch vieles bewegen können,
warf Ranzmaier der Regierung vor. Christoph Steiner (FPÖ) sprach
außerdem von einer „Unrechtsgrenze“, die überall sonst kritisiert
würde. Diese gelte es, „wiedergutzumachen“.
Mit der Revision des Autonomiestatuts könnten große Schritte zur
Wiedererlangung der Autonomie gelingen, zeigte sich demgegenüber
Außenministerin Meinl-Reisinger überzeugt. Eine breite Mehrheit der
Bevölkerung stehe hinter der Revision, daher gelte es, genau das in
der Schutzfunktion zur Kenntnis zu nehmen. Nun sollte man sich darauf
konzentrieren, dass der Entschluss zustande komme. Was die
Doppelstaatsbürgerschaft betrifft, würden die Meinungen dazu in
Südtirol stark auseinandergehen bzw. sei diese nicht von der Mehrheit
gewünscht, so die Ministerin. (Fortsetzung Nationalrat) mbu
HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können
auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand
in der Mediathek des Parlaments verfügbar.