Wien (OTS) – SOS-Kinderdorf Österreich begleitet heute Kinder und
Jugendliche in
professionellen Betreuungssettings mit qualifizierten Fachkräften,
modernen pädagogischen Standards und verbindlichen Kinderschutz- und
Compliance-Strukturen. Zugleich arbeitet SOS-Kinderdorf historische
Fälle lückenlos auf und setzt den Neustart der Organisation
konsequent um.
Umfassende Aufarbeitung, unabhängig und ohne Tabus
SOS-Kinderdorf öffnet Archive, legt der unabhängigen
Reformkommission, die Vorfälle und Strukturen von SOS-Kinderdorf
umfassend prüft, alle Unterlagen offen und unterstützt sie in der
vollständigen Aufarbeitung – egal, wie lange eine Gewalterfahrung
zurückliegt und unabhängig davon, ob es sich um Täter*innen in
führenden Positionen gehandelt hat. Parallel startet die Organisation
schon vor Abschluss der Arbeit der Reformkommission eine umfassende
Neuaufstellung mit dem Ziel klarer Governance, offener Kultur und
überprüfbarer Verantwortung.
Aufarbeitung für alle: Neue Erkenntnisse zu Gründer Hermann Gmeiner
In den vergangenen Wochen haben sich im Zuge der Aufarbeitung weitere
Betroffene und Mitarbeitende gemeldet. SOS-Kinderdorf geht jeder
Meldung nach und hat dabei auch interne Recherchen zu historischen
Akten intensiviert. Im Rahmen dieser Überprüfungen wurden acht intern
dokumentierte Opferschutzfälle im Zusammenhang mit dem Gründer
Hermann Gmeiner (verstorben 1986) ausgehoben.
Die Meldungen betreffen vier Standorte in Österreich im Zeitraum
der 1950er- bis 1980er-Jahre. Alle acht Betroffenen haben in den
Jahren 2013 bis 2023 ein Opferschutzverfahren durchlaufen und eine
Entschädigungszahlung und Therapieeinheiten erhalten. SOS-Kinderdorf
wird alle bisher ausgehobenen Dokumente umgehend übergeben und
weitere Unterlagen laufend nachreichen.
„ In den vergangenen Wochen haben sich bei uns Betroffene
gemeldet, wir haben aktiv recherchiert, die historischen Fälle
identifiziert, benennen die Fakten und legen alles auf den Tisch.
Aufarbeitung gilt für alle – unabhängig von Rolle, Funktion,
Verdiensten, Zeitraum, Einfluss oder Symbolkraft. Niemand steht über
dem Prinzip der Verantwortung, auch nicht Gründerfiguren “, sagt
Annemarie Schlack , seit 2024 Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf
Österreich.
Bruch mit einer idealisierten Geschichte
„ Unsere Vorgangsweise ist ein Bruch mit einer idealisierten
Geschichte – aber auch die Voraussetzung für nachhaltige Veränderung
der Organisation “, betont Annemarie Schlack. „ Wir müssen
anerkennen, dass das System der Vergangenheit auch Spuren in der
Gegenwart hinterlassen hat. Von dieser Vergangenheit trennen wir uns
jetzt – nicht durch ein Update, sondern durch einen umfassenden
Neustart. “
Gleichzeitig würdigt Schlack die wichtige Rolle von SOS-
Kinderdorf im österreichischen Kinder- und Jugendhilfesystem: „
Unsere Pädagog*innen, Psycholog*innen und Fachkräfte leisten
tagtäglich unverzichtbare Arbeit für Kinder und Familien in
schwierigen Lebenslagen. Auf diese Kompetenz und Erfahrung bauen wir
– sie sind die Grundlage, auf der wir jetzt eine transparente,
moderne und überprüfbare Kinderschutzorganisation weiterentwickeln. “
“ In den vergangenen Jahren wurden bereits zentrale
Reformschritte umgesetzt – etwa durch längst angepasste, heute
zeitgemäße Betreuungsangebote, eine neue Kinderschutzrichtlinie,
Ombudsstellen, ein Melde- und Compliance-System sowie verbindliche
Verfahrenswege bei Kindeswohlgefährdung. Diese Maßnahmen waren
wichtig – jetzt gehen wir den nächsten Schritt und richten die
Organisation als Ganzes neu aus “, so Schlack.
SOS-Kinderdorf leitet daraus eine klare Konsequenz ab:
Aufarbeitung und Neuaufstellung laufen gleichzeitig.
Neuaufstellung auf zwei Säulen: Aufarbeitung und Zukunftsprozess
Die Neuaufstellung baut auf zwei Säulen auf, die eng mit der Arbeit
der Reformkommission verzahnt sind:
1. Organisationsentwicklungsprozess „SOS-Kinderdorf neu“
SOS-Kinderdorf startet einen umfassenden, extern begleiteten
Organisationsentwicklungsprozess. Er läuft parallel zur Arbeit der
Reformkommission, damit Ergebnisse und Empfehlungen unmittelbar in
die Organisation übertragen werden können. Ziel ist, Verantwortung,
Kontrolle und Transparenz auf allen Ebenen dauerhaft zu sichern und
SOS-Kinderdorf als moderne Kinderschutzorganisation mit zeitgemäßen
Strukturen und Standards neu aufzustellen. Ein besonderer Fokus liegt
auf der aktiven Beteiligung der Mitarbeitenden, deren Erfahrungen und
Ideen die Basis für den Wandel bilden. Der Prozess umfasst die
Entwicklung eines neuen Leitbilds, die Neuordnung von Strukturen und
Entscheidungswegen sowie einen umfassenden Kultur- und
Führungsprozess. Der Organisationsentwicklungsprozess läuft bis Ende
2026 und wird von externen Expert*innen begleitet.
2. Sonderbeauftragte*r für Aufarbeitung
Für die lückenlose interne Durchleuchtung der Organisation wird ein
Team unter Leitung eine*r Sonderbeauftragten für Aufarbeitung
eingesetzt. Das Team ist bei SOS-Kinderdorf angesiedelt und arbeitet
in enger Abstimmung mit der Reformkommission, bleibt aber
eigenständig im Mandat und in der Umsetzung.
Aufgabe ist die vollständige Bearbeitung aller eingelangten und nicht
vollständig aufgearbeiteten historischen Fälle, inklusive aktiver
Archiv-Recherchen und Dokumentationsprüfung.
Berichtet wird an die Geschäftsführung (operativ) und an den
Aufsichtsrat (vierteljährlich). Der oder die Sonderbeauftragte wird
über die Laufzeit der Reformkommission hinaus tätig sein, um
nachhaltige Aufarbeitungs- und Transparenzstrukturen in der
Organisation zu verankern.
Standorte handlungsfähig halten
Christian Rudisch , Geschäftsleiter SOS-Kinderdorf und
Ansprechpartner für die Standorte: „ Die Kinder, Jugendlichen und
Familien, die wir heute aktuell betreuen und begleiten, brauchen
jetzt Klarheit und Rückhalt. Die Fakten müssen offen benannt werden –
ohne Beschönigung – und gleichzeitig müssen wir handlungsfähig
bleiben. Aufarbeitung bedeutet nicht Stillstand, sondern Haltung: Wir
schützen und begleiten rund 1.800 Kinder und Jugendliche, die bei uns
aufwachsen, wir vertrauen auf über 2.000 Mitarbeitende und stehen
füreinander ein .“
Für Betroffene:
Betroffene können sich weiterhin vertraulich an die Ombudsstellen
oder direkt an die Reformkommission wenden. Jede neue Meldung wird
dokumentiert, geprüft und bearbeitet. Alle Meldestellen finden sich
unter: www.sos-kinderdorf.at/meldestelle
Facts:
Fact Sheet: https://www.sos-kinderdorf.at/factsheet
Opferschutzverfahren: Info-Opferschutzverfahren
Personalstandards: https://www.sos-
kinderdorf.at/personalstandards
Verfahrenswege: https://www.sos-kinderdorf.at/verfahrenswege
Reformkommission: https://reformkommission.at/
Über SOS-Kinderdorf
SOS-Kinderdorf ist der größte private Träger der Kinder- und
Jugendhilfe in Österreich und in allen Bundesländern vertreten. 2024
wurden rund 1.800 Kinder und Jugendliche in stationären Angeboten von
ausgebildeten Fachkräften professionell betreut. (Heute leben mehr
als 75 % in Wohngruppen oder im betreuten Wohnen, nur etwa 10 % sind
in SOS-Kinderdorf-Familien untergebracht.) Durch präventive
Unterstützungsprogramme wurden im Vorjahr rund 4.200 Kinder,
Jugendliche und ihre Familien beraten und betreut. Bei SOS-Kinderdorf
sind rund 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.
SOS-Kinderdorf finanziert sich zu rund 75 % aus Beiträgen der
öffentlichen Hand. Rund 25 % der erforderlichen Mittel kommen aus
Spenden.
Weitere Infos in unseren Fragen und Antworten