80 70 30: Gesetze machen in einem besetzten Österreich

Wien (PK) – Zehn Jahre lang war Österreich zwischen 1945 und 1955 von
den
Alliierten besetzt. Zehn Jahre, in denen Gesetze beschlossen wurden,
ohne dass Österreich ein souveräner Staat war. Wie sah die
parlamentarische Arbeit in dieser Zeit aus? Das Parlament konnte zwar
Gesetze beschließen, diese traten aber nicht wie heute unmittelbar
nach Beschluss durch die Kundmachung in Kraft. Vor der Kundmachung
hatten nämlich alle vier alliierten Mächte ein Wort mitzureden. Wie
gewichtig dieses Wort war, veränderte sich im Lauf der Zeit. Das
zeigt ein Blick auf die österreichische Gesetzgebung unter den
Bedingungen der Alliierten Kontrollabkommen.

Erstes Kontrollabkommen: Alliierte müssen jedes Gesetz genehmigen

Gesetze wurden in der Zweiten Republik schon beschlossen, bevor
es ein Parlament gab. Die Provisorische Staatsregierung unter
Staatskanzler Karl Renner (SPÖ) nahm bereits am 27. April 1945 ihre
Arbeit auf und war neben der Verwaltung auch für die Gesetzgebung des
Bundes und der Länder zuständig.

Doch die Provisorische Staatsregierung arbeitete unter strengster
Kontrolle der Alliierten. Am 4. Juli 1945 unterzeichneten
Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion das Erste
Alliierte Kontrollabkommen. Sie einigten sich darin auf ein
Kontrollsystem für Österreich, bis eine frei gewählte Regierung das
Amt antritt. Mit dem Abkommen richteten die vier Besatzungsmächte die
Alliierte Kommission ein, eine Militärregierung zuständig für das
gesamte Staatsgebiet. Sie bestand aus dem Alliierten Rat, dem
Exekutivkomitee und verschiedenen Abteilungen. Der Alliierte Rat,
bestehend aus den Oberbefehlshabern der vier Besatzungstruppen, war
zuständig für die Kontrolle der Regierung. Er musste jedes Gesetz
einstimmig genehmigen, bevor es in Kraft treten konnte.

Und davon gab es viele: Bis Ende November 1945 hatte die
Regierung über 200 Gesetze erlassen, wie Johann Luger in seiner
Dissertation anführt, für die er sich 1976 mit dem Parlament und der
alliierten Besatzung beschäftigt hat. Der Alliierte Rat war hinten
nach, zeigt Luger auf. Er hatte Ende November erst 157 Gesetze
genehmigt, vier abgelehnt und Änderungen für elf Gesetze gefordert.
Die verschiedenen Standpunkte und die Verwendung von drei Sprachen
machten das System schwerfällig.

Parlament beginnt Arbeit unter starker Einschränkung

Österreich hingegen kam dem Auftrag, freie Wahlen abzuhalten,
rasch nach. Am 25. November 1945 wurde gewählt, Nationalrat und
Bundesrat traten am 19. Dezember zum ersten Mal zusammen. Damit ging
das Recht der Gesetzgebung auf das Parlament über.

Das Procedere lautete zunächst: Nach einem Beschluss des
Parlaments ging ein Gesetz an die alliierten Behörden. Nach
einstimmiger Genehmigung durch den Alliierten Rat durfte es von der
Republik Österreich kundgemacht werden. Eine Begutachtung durch die
Alliierten erst nach dem abgeschlossenen parlamentarischen Verfahren
drohte aber zu erheblichen Verzögerungen zu führen. Im Februar 1946
beschloss der Alliierte Rat daher, dass Gesetzesvorlagen dem
Parlament und den Alliierten gleichzeitig zuzuleiten waren. Die
Beratungen auf Ebene der Alliierten Kommission und in den Ausschüssen
des Nationalrats fanden also ungefähr zur gleichen Zeit statt. Die
Alliierten konnten währenddessen schon Vorschläge einbringen, wodurch
die Gefahr eines späteren Einspruchs geringer wurde. Die Koordination
lief aber in erster Linie über die Regierung. Zwischen dem Parlament
und den alliierten Instanzen bestand kein direkter Draht, wie Johann
Luger aufzeigt. Eine Ausnahme: Bei wichtigen Nationalratssitzungen
waren Vertreter der Alliierten anwesend.

So auch in der Sitzung des Nationalrats am 21. Dezember 1945 ,
bei der der neue Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) seine
Regierungserklärung abgab. Die Rede war nicht ohne alliierte
Mitsprache entstanden. Figl musste einen Entwurf vorlegen und
Ergänzungen der Alliierten einarbeiten, wie der Historiker Manfried
Rauchensteiner in seinem Buch „Der Sonderfall“ schildert. Der Kanzler
trug dem Rechnung und betonte nun in seiner Rede unter anderem, dass
die Regierung mit dem Alliierten Rat „in engster Weise“
zusammenarbeiten werde. Gleichzeitig sprach er aber auch Punkte an,
die im übermittelten Entwurf nicht enthalten waren. So forderte er
etwa, dass die Zonen abgeschafft werden und die Einheit Österreichs
wiederhergestellt wird.

Ein erstes Aufbegehren gegen den alliierten Einfluss gab es auch
von einem Parlamentarier knapp drei Monate danach. Karl Seitz (SPÖ)
kritisierte das Vetorecht der Alliierten in einer Nationalratssitzung
am 20. März 1946 scharf und fragte gar „Ist das noch ein Parlament?“.
Er appellierte an Großbritannien, Frankreich, die USA und die
Sowjetunion: „Verteidigt eure Demokratie, indem ihr die der
Österreicher verteidigt!“

Das Vetorecht hatte etwa im Februar 1946 dazu geführt, dass von
der Provisorischen Staatsregierung beschlossene Gesetze aufgehoben
oder abgeändert werden mussten. Konkret ging es etwa um ein Gesetz
über „reichsdeutschen Bergwerksbesitz“, ein
„Wiederverlautbarungsgesetz“ und eine Passgesetznovelle. Alle von der
Provisorischen Staatsregierung bis zur Konstituierung des Parlaments
gefassten Beschlüsse mussten nämlich vom neu gewählten Nationalrat
erneut behandelt und beschlossen werden. „Die Notwendigkeit der
Aufhebung dieses Gesetzes ergibt sich aus der Tatsache, dass der
Alliierte Rat für Österreich beschlossen hat, dem Gesetze die
Zustimmung zu versagen“, erklärte Berichterstatter Rudolf Kristofics-
Binder (ÖVP) etwa zum Gesetz betreffend „reichsdeutschen
Bergwerksbesitz“ in der Nationalratssitzung am 19. Februar 1946 .

Uneinigkeit über die Verfassung

Und auch mit dem Verfassungs-Übergangsgesetz war der Alliierte
Rat nicht einverstanden. Der Nationalrat hatte es in seiner ersten
Sitzung am 19. Dezember 1945 verabschiedet, um – wie auch von der
Provisorischen Staatsregierung bereits so geregelt – wieder zur
Bundesverfassung 1920 in der Fassung von 1929 zurückzukehren. Die
Alliierten aber hatten einen anderen Plan: Eine neue Verfassung
sollte ausgearbeitet werden.

In einer Nationalratssitzung am 12. April 1946 verlas
Nationalratspräsident Leopold Kunschak (ÖVP) eine Note des Alliierten
Rats. Der Rat konnte dem Entwurf demnach „keine Zustimmung erteilen
und erwartet den Beschluss einer ständigen Verfassung“. Als Frist
wurde der 1. Juli vorgegeben. Aus der Nachricht ging auch hervor,
dass eines der vier Besatzungsländer gegen das Verfassungs-
Übergangsgesetz war – gemeint war die Sowjetunion. Für Bundeskanzler
Figl war der Einspruch „überraschend“, wie er in seiner Rede sagte.
Aus seiner Sicht bildete die Verfassung in der Form von 1929 bereits
einen Bestandteil der geltenden Rechtsordnung Österreichs.

Auch der Nationalrat bekannte sich in einer mit breiter Mehrheit
angenommenen Entschließung erneut zu seinem Beschluss und stellte
fest, dass die Verfassung in der Fassung von 1929 mit dem erstmaligen
Zusammentreten des Parlaments wieder Gültigkeit erlangt habe. Der
Bundesrat vertrat in einer Sitzung am selben Tag den gleichen
Standpunkt. Wie wir heute wissen, blieb es dabei: Die
Bundesverfassung 1920 in der Fassung von 1929 ist nach wie vor in
Kraft.

Zweites Kontrollabkommen bringt Lockerung

Einen bedeutenden Wendepunkt brachte schließlich das Zweite
Kontrollabkommen , das die Alliierten am 28. Juni 1946
verabschiedeten. Bereits im ersten Abkommen war geregelt, dass neue
Vereinbarungen getroffen werden, sobald eine frei gewählte und von
den Alliierten anerkannte Regierung im Amt ist. Österreich erhielt
nun mehr Eigenständigkeit. Für die Gesetzgebung regelte Artikel 6,
dass Gesetze automatisch in Kraft treten, wenn der Alliierte Rat
nicht binnen 31 Tagen einstimmig Einspruch erhob. Eine Genehmigung
wie während der Zeit des ersten Kontrollabkommens brauchte es nur
noch für Verfassungsgesetze. Bei Vorlagen zu Verfassungsgesetzen war
nun ganz oben vermerkt: „Diese Maßnahme tritt nicht früher in Kraft,
als sie nicht die Genehmigung des Alliierten Rates erhalten hat“.

Kurz nach Beschluss des Zweiten Kontrollabkommens ging es am 26.
Juli 1946 im Nationalrat um das Verstaatlichungsgesetz. Bundeskanzler
Figl las zwei Mitteilungen der russischen Besatzungsmacht vor. Die
Sowjetunion zeigte sich darin nicht einverstanden mit jenen
Unternehmen, die verstaatlicht werden sollten. Hintergrund war die
Frage des Umgangs mit ehemals „deutschem Eigentum“. Aus russischer
Sicht mussten die betroffenen Betriebe an die UdSSR übergehen. Das
Parlament sei nicht berechtigt, „ehemalige deutsche Aktiva zu
nationalisieren oder auch irgendwelche andere einseitige Beschlüsse
zu fassen“, hieß es in der von Figl verlesenen Note. Der Nationalrat
beschloss das Gesetz trotz der Bedenken von sowjetischer Seite
einstimmig. Weil es sich um ein einfaches Gesetz handelte, und die
Sowjetunion sich mit ihrem Standpunkt im Alliierten Rat nicht
durchsetzen konnte, konnte es in Kraft treten. Allerdings: Die
Sowjetunion erkannte es in ihrer Zone nicht an, die beschlagnahmten
Betriebe blieben in russischer Hand.

Gesetzesvorhaben scheitern an Veto

Bei Verfassungsgesetzen nahm die Regierung mitunter schon vorab
Verhandlungen mit den Alliierten auf, um spätere Einsprüche zu
vermeiden, wie Johann Luger schildert. So kamen Kompromisse zustande,
die die Bevölkerung nicht immer zufriedenstellten. Dem Parlament
wurde daher vorgeworden, ein „Parlament des Schattens“ zu sein,
schreibt Luger.

Doch oftmals herrschte überhaupt Uneinigkeit darüber, was als
Verfassungsgesetz anzusehen war. Der Nationalrat hatte etwa am 17.
November 1948 ein Bundesgesetz für eine Wahlschwindelamnestie
beschlossen, mit dem Härtefälle bei falschen Angaben im
Wähleranlageblatt beseitigt werden sollten. Hintergrund war die für
die Wahl 1945 eingeführte Verpflichtung, in einem Wähleranlageblatt
Fragen zur ehemaligen Zugehörigkeit zur NSDAP zu beantworten. Wer
vorsätzlich falsche Angaben machte, wurde wegen Betrugs bestraft. Am
19. Jänner 1949 musste sich der Nationalrat jedoch mit einem
Einspruch der Alliierten befassen. Der Grund: Sie sahen die Amnestie
als Verfassungsmaßnahme an, die nicht mittels einfachem Gesetz
beschlossen werden kann. Der Nationalrat teilte diese Ansicht nicht.
Mittels einstimmig angenommener Entschließung ersuchte er die
Regierung, beim Alliierten Rat Schritte für eine rasche Genehmigung
zu unternehmen. Die Alliierten blieben aber bei ihrem Standpunkt, wie
Bundeskanzler Figl den Abgeordneten im Nationalrat am 9. März 1949
mitteilte. Tatsächlich wurde das Gesetz nicht im Bundesgesetzblatt
kundgemacht.

Und auch das sogenannte Literaturreinigungsgesetz trat nie in
Kraft. Es sollte sicherstellen, dass alle Druckwerke, die das
Ideengut des Nationalsozialismus verbreiten oder die Politik der
Alliierten gegen das Deutsche Reich bekämpfen, vernichtet werden.
Entstanden war das Verfassungsgesetz auf Verlangen der Alliierten,
bereits vor Einbringung im Nationalrat war es dem Alliierten Rat
vorgelegt worden. Der Nationalrat befasste sich zum ersten Mal am 20.
März 1946 mit der Vorlage, nach insgesamt fünf Runden beendete der
Bundesrat am 24. Mai 1949 die parlamentarische Reise des Gesetzes.

Es spießte sich an den Ausnahmebestimmungen. Ursprünglich waren
nur Hochschulbibliotheken von der Pflicht ausgenommen, solche Werke
abzuliefern. Das Parlament wollte aber weitere Ausnahmen, unter
anderem für Abgeordnete, erreichen. Mehrmals änderte der Nationalrat
die Regierungsvorlagen daher ab, immer folgte ein Einspruch des
Alliierten Rats. „Selbst bei diesem Gesetz sehen wir zwei Mächte
einander gegenüberstehen: einerseits das Diktat der Alliierten, auf
der anderen Seite die Meinung der freigewählten Abgeordneten und der
gesetzgebenden Versammlung und dazwischen steht die Bundesregierung“,
sagte der Abgeordnete Anton Frisch (ÖVP) in einer Nationalratssitzung
am 12. Mai 1949 . Der Nationalrat schickte an diesem Tag ein letztes
Mal eine abgeänderte Fassung des Gesetzes an den Bundesrat. Dieser
war der Ansicht, dass die Bestimmungen mittlerweile überholt sind.
Außerdem stieß er sich daran, dass die niederösterreichische und die
steiermärkische Landesbibliothek nicht in den Ausnahmen angeführt
waren. Die Länderkammer erhob am 24. Mai 1949 Einspruch. Das Gesetz
kam nie zustande.

Neben dem Literaturreinigungsgesetz wanderten auch Novellen zum
NS-Verbotsgesetz mehrmals zwischen Regierung, Parlament und
Alliierten hin und her. Auch zur sogenannten Spätheimkehreramnestie,
die der Nationalrat als Verfassungsgesetz am 17. Dezember 1951
beschloss, gab es ein Veto. Das Gesetz sollte jene ehemaligen NSDAP-
Mitglieder von der Registrierung und anschließenden Strafen befreien,
die nach dem 30. April 1949 aus der Kriegsgefangenschaft nach
Österreich zurückkehrten. Der Einspruch kam dieses Mal insbesondere
von US-amerikanischer Seite. Am 20. Mai 1952 befassten sich die
Abgeordneten im Rahmen einer Dringlichen Anfrage mit dem Veto des
Alliierten Rats und verabschiedeten eine Entschließung, in der es
hieß: „Der Nationalrat nimmt den Einspruch des Alliierten
Kontrollrates gegen das Spätheimkehreramnestiegesetz zum Anlass, um
neuerlich gegen die Einmischung des Alliierten Kontrollrates in die
österreichische Gesetzgebung zu protestieren“. Die Alliierten nahmen
den Protest zunächst kommentarlos zur Kenntnis, wie Luger schildert.
Erst im Spätherbst 1953 wurde das Gesetz nach neuerlichen Bemühungen
genehmigt.

Forderung nach Freiheit und Ende der alliierten Kontrolle

Im Jahr 1953 kam es nach dem Tod Stalins zwar zu Lockerungen im
Besatzungsregime, nach wie vor aber war die Souveränität des
Parlaments eingeschränkt. Nationalratspräsident Felix Hurdes (ÖVP)
erhob anlässlich des Tagungsendes am 9. Juli 1953 Kritik am Vetorecht
der Alliierten. Er sprach von einem „dunklen Schatten“, der nach wie
vor über der Arbeit des Parlaments liege. „Wir fordern die endliche
Freiheit für unser Österreich!“, schloss er. Es folgte „andauernder
lebhafter Beifall“, wie im Stenographischen Protokoll vermerkt ist.

Die Erlösung brachte erst der Staatsvertrag. Doch auch der
Beschluss des Parlaments im Juni 1955 zur Ratifikation des
Staatsvertrags betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen
und demokratischen Österreich musste noch die Zustimmung des
Alliierten Rates erhalten, der weiterhin im Amt war. Es handelte sich
aber nur noch um einen Formalakt, wie Luger betont.

Erst am 27. Juli 1955, als der Staatsvertrag nach der
Ratifikation durch alle vier alliierten Mächte in Kraft trat, endete
das Vetorecht der Alliierten in der österreichischen Gesetzgebung.
Der Alliierte Rat hielt an diesem Tag seine letzte Sitzung ab. (
Schluss) kar

HINWEISE: Die Dissertation von Johann Luger, Bücher von Manfried
Rauchensteiner und andere Werke zur Besatzungszeit in Österreich
finden Sie in der Parlamentsbibliothek . Die Stenographischen
Protokolle zu allen Sitzungen von Nationalrat und Bundesrat finden
Sie im Webportal des Parlaments unter „Recherchieren“.

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