Wien (OTS) – Nach Auffassung des Senats 1 des Presserats verstößt der
Artikel „„[
…] Horrormutter wurde zu 7 Jahren Haft verurteilt“, erschienen auf
„meinbezirk.at“, gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (
Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
Im Beitrag wird berichtet, dass eine Mutter nicht rechtskräftig
zu sieben Jahren Haft verurteilt worden sei, weil sie ihre Kinder
gequält und körperlich misshandelt habe. Die Verfasserin des Artikels
zitiert aus den Einvernahmeprotokollen der Kinder – dabei werden
zahlreiche Details zu den Misshandlungen, brutalen Übergriffen und
auch weitere beschämende Handlungen der Mutter beschrieben, die
teilweise keine strafrechtlichen Konsequenzen gehabt hätten. Zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts waren die drei
Betroffenen weiterhin minderjährig.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft NÖ kritisiert, dass durch den
Bericht die Kinderrechte verletzt worden seien; die detaillierten
Beschreibungen im Artikel würden nachhaltige Scham und
schlimmstenfalls eine Retraumatisierung der Kinder zur Folge haben.
Die Medieninhaberin hielt im Verfahren fest, dass die betroffenen
Kinder nicht identifizierbar wären. Der Beitrag sei sachlich und
neutral gehalten. Auch lege der Beitrag keine unnötigen Details
offen, sondern gebe nur sachlich Umstände und Vorgänge wieder, die
den Gegenstand des Strafverfahrens gebildet haben.
Der Senat hält zunächst fest, dass die Themen „Missbrauch von
Kindern“ und „Gewalt gegen Kinder“ sowie Berichte über Straftaten in
diesem Bereich für die Öffentlichkeit relevant sind und Medien hier
einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Bewusstseinsbildung leisten
können. Bei Berichten über konkrete Missbrauchsfälle bzw. Gewalttaten
ist allerdings stets auf die Würde und Intimsphäre der Opfer zu
achten. Das Leid, das die betroffenen Kinder und ihre Angehörigen
erfahren, darf durch die Berichterstattung nicht vergrößert werden,
etwa durch herabwürdigende oder überschießende Formulierungen zur
Tat.
Darüber hinaus ist im konkreten Fall auch zu berücksichtigen,
dass Kinder aus medienethischer Sicht besonders schutzwürdig sind;
gerade bei der Berichterstattung über Fälle, welche die Existenz von
Kindern nachteilig beeinflussen können, ist große Zurückhaltung
geboten (vgl. die Punkte 6.2 und 6.5 des Ehrenkodex).
Mit dem Alter der Kinder und der Mutter, der Anzahl der Kinder
sowie der Verortung in einem Teil Niederösterreichs sind relativ
wenige Informationen veröffentlicht worden, die zu einer
tatsächlichen Identifizierung der Betroffenen führen könnten. Für
eine Identifizierung ist jedoch nicht die Nennung des vollständigen
Namens oder die Veröffentlichung eines Fotos notwendig; sie kann sich
vielmehr auch aus den Begleitumständen ergeben.
Der Entscheidungspraxis der Senate zufolge kann ein Bericht aber
selbst bei kompletter Anonymisierung eine Persönlichkeitsverletzung
darstellen: Bei besonders drastischen und herausragenden Ereignissen
wie beispielsweise bei grausamen Tötungen oder schweren Unfällen kann
das unmittelbare Umfeld des Opfers im Regelfall das Ereignis dem
Opfer zuordnen.
Im konkreten Artikel wird unter Berufung auf die Anklage
geschildert, dass der Alltag der Kinder von ständiger Gewalt geprägt
gewesen sei, wobei zahlreiche Details zu den Misshandlungen und
brutalen Übergriffen der Mutter ausführlich geschildert werden, so
der Senat.
Darüber hinaus werden aber auch weitere, sehr beschämende
Handlungen der Mutter im Zusammenhang mit dem Hygieneverhalten der
Kinder geschildert, die jedenfalls in die Intimsphäre der Betroffenen
eingreifen.
Der Senat stimmt mit der Medieninhaberin grundsätzlich darin
überein, dass es bei der Berichterstattung über Straftaten notwendig
und von öffentlichem Interesse ist, auch die verübten Taten selbst zu
benennen bzw. zu beschreiben. Allerdings bedeutet das nicht, dass
alle Fakten und Details zu Straftaten, die in einer Anklage
vorgebracht oder in einer Gerichtsverhandlung erörtert werden, auch
ungefiltert in den Medien ausgebreitet werden dürfen. Die
Gerichtsöffentlichkeit ist mit der Medienöffentlichkeit nicht
gleichzusetzen. Darüber hinaus sind nach Meinung des Senats nicht
alle im Artikel gebrachten Details erforderlich, um den Leserinnen
und Lesern das Thema Gewalt in der Familie bewusst zu machen.
Im konkreten Fall sind die geschilderten Taten der Mutter sehr
entwürdigend und beschämend für die betroffenen Kinder, betont der
Senat. Die Schilderung greift in die Intimsphäre der Betroffenen ein
(Punkt 6 des Ehrenkodex).
Es ist auch nicht auszuschließen, dass selbst nahe Angehörige
nicht über die Vorfälle – zumindest in dieser Detailliertheit –
Bescheid gewusst haben und sie und möglicherweise weitere Personen
erst durch die Berichterstattung davon Kenntnis erlangt haben. Das
ist nach Auffassung des Senats zweifellos eine weitere große
Belastung für die betroffenen Kinder.
Der Senat stellt daher einen Verstoß gegen die Punkt 5 (
Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex fest und
fordert die Medieninhaberin auf, die Entscheidung freiwillig im
betroffenen Medium zu veröffentlichen oder bekanntzugeben.
Zwtl.: SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINER
LESERIN
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen
Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und
Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des
Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund
einer Mitteilung einer Leserin ein Verfahren durch (selbständiges
Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der
Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der
Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberin von „meinbezirk.at“ hat von der Möglichkeit, an
dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberin der „Bezirksblätter Niederösterreich“ hat die
Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.