Wien (OTS) – In der aktuellen Debatte rund um Teilzeitarbeit in
Österreich
passiert eine gefährliche Schuldumkehr gegenüber jenen, die in
Teilzeit arbeiten – insbesondere Frauen. „Statt auf die realen
Ursachen zu blicken, wird der falsche Eindruck erweckt, Menschen
würden sich bewusst gegen ein „Vollzeit-Engagement“ entscheiden, um
der Republik zu schaden. Das ist Unsinn und führt die Debatte an den
echten Problemen vorbei”, warnt Erich Fenninger, Direktor der
Volkshilfe Österreich.
Schuld sind nicht die Mütter, schuld ist das System
Auch die Situation jener Frauen, die Kinder betreuen oder betreut
haben, ist vielschichtiger als von der ÖVP dargestellt. Einerseits
zeigen sich bei vielen teilzeitbeschäftigten Frauen in höherem Alter
nun die Folgen einer jahrzehntelangen konservativen Familienpolitik.
Andererseits gibt es bis heute nicht genügend
Kinderbetreuungseinrichtungen, die Vollzeitarbeit ermöglichen. Wenn
der Kindergarten am Land zu Mittag zu sperrt, ist Vollzeit beider
Eltern nicht möglich. In Oberösterreich sind nicht einmal 3 von 10
Plätzen VIF-konform, erlauben also eine Vollzeiterwerbstätigkeit. Der
Zusammenhang zur späteren Teilzeitarbeit ist klar: Je länger Eltern,
aber vor allem Mütter aus dem Erwerbsleben ausscheiden, desto
schwieriger ist der Wiedereinstieg. “Schuld sind nicht die Mütter,
schuld ist das System”, betont Fenninger.
“Es braucht eine Bildungs- und Familienpolitik, die Familien
entlastet – durch ganztägige und qualitativ hochwertige
Bildungsangebote in Schulen sowie einem breiten Angebot an
außerschulischen Aktivitäten, damit eine Erhöhung der Arbeitsstunden
nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis möglich ist”, so
Fenninger weiter. Gleichzeitig müsse man sehen, dass viele Frauen
auch pflegebedürftige Angehörige betreuen und dafür Erwerbsarbeit
reduzieren.
Wer Vollzeit fordert, muss sich um Kinder, Pflege und eine faire
Arbeitswelt kümmern
“Wir müssen auch über die Realität der Arbeitswelt reden.
Tatsache ist, dass es in bestimmten Branchen schlicht keine
Vollzeitstellen gibt”, erläutert Fenninger. 110.000
Teilzeiterwerbstätige in Österreich wünschen sich laut Statistik
Austria sogar eine Aufstockung. Eine Studie von IFES/WIFO zeigte für
2022, dass ein Viertel der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer*innen
im Handel (24%) gerne mehr Stunden arbeiten möchten.
Teilzeit ist für viele kein „Privileg“, sondern eine
Überlebensstrategie in einem System, das Menschen zu oft an ihre
Grenzen bringt – denken wir etwa auch an schwere körperliche Arbeit
am Bau oder in der Pflege, gerade wenn es so heiß ist.
“Wer Teilzeitarbeit zur Verfehlung der Beschäftigten erklärt,
verkennt die Lage und verhöhnt die Menschen. Und wer Vollzeit
fordert, muss sich endlich auch um Kinder, Pflege und eine faire
Arbeitswelt kümmern” so Fenninger abschließend.