Monetarisierung statt Mobilisierung: Verschwörungstheorien auf Telegram werden zum Geschäftsmodell

Wien (OTS) – In österreichischen Telegram-Netzwerken wird immer
stärker versucht,
mit Verschwörungstheorien Geld zu verdienen. Vor allem die
reichweitenstärksten Verbreitungskanäle sind Teil zunehmend
professionalisierter Vertriebsnetzwerke und bewerben ein breites
Produktangebot – von Nahrungsergänzungsmitteln und
Krisenvorsorgeartikeln bis zu politischem Merchandise. Das zeigt eine
neue Studie der Bundesstelle für Sektenfragen, die auch auf die
potenziell demokratiegefährdende Wirkung der eingesetzten
Kommunikationsstrategien hinweist.

Die Untersuchung macht deutlich: Aus der spontanen
Protestkommunikation während der COVID-19-Pandemie ist eine
stabilisierte Gegenöffentlichkeit hervorgegangen. Einflussreiche
Akteurinnen und Akteure nutzen ihre Reichweite vermehrt zur
Einwerbung von Spenden sowie zur Vermarktung eines breiten Spektrums
an Produkten und Dienstleistungen. „Die Kommunikation folgt einem
selbstverstärkenden Kreislauf: Zur Absicherung ökonomischer
Interessen werden fortlaufend neue Bedrohungsszenarien konstruiert,
die gezielt Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen und
wissenschaftlichen Erkenntnissen schüren“, erklärt Ulrike Schiesser,
Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen.

Diese Verunsicherung legitimiert Spendenaufrufe, kommerzielle
Angebote und exklusive Inhalte – und stützt ein Geschäftsmodell, das
von den Krisenerzählungen lebt, die es selbst erzeugt. Die Ergebnisse
der Bundesstelle verdeutlichen die Gefahr abgeschotteter
Kommunikationsräume, in denen verschwörungstheoretische,
systemfeindliche und esoterische Weltbilder kultiviert und von
einzelnen „Big Playern“ gezielt monetarisiert werden.

Zwtl.: Das Geschäft mit der Angst

Krisenzeiten wie die COVID-19-Pandemie, geopolitische Spannungen
oder wirtschaftliche Unsicherheit wirken dabei als Katalysatoren. In
Phasen kollektiver Verunsicherung steigt die Anfälligkeit für
einfache Deutungsmuster, exklusive „Wahrheiten“ und vermeintlich
alternative Lösungsangebote – eine Nachfrage, die gezielt adressiert
und kommerziell verwertet wird. Studien aus dem deutschsprachigen
Raum belegen hierfür bereits die zentrale Rolle des Instant-Messaging
-Dienstes Telegram. Für Österreich fehlten bisher jedoch
systematische Untersuchungen. Mit dem Fokus auf das „Geschäft mit der
Angst“ in österreichischen Telegram-Netzwerken will die Bundesstelle
für Sektenfragen daher zu mehr Aufklärung über ein bisher
unerforschtes Feld beitragen und ihrem gesetzlichen Dokumentations-
und Informationsauftrag nachkommen.

Zwtl.: Verschwörungstheoretische Netzwerke weiterhin aktiv

Der vorliegende Bericht der Bundesstelle für Sektenfragen
bestätigt die anhaltend hohe Aktivität verschwörungstheoretischer
Akteurinnen und Akteure in österreichischen Telegram-Netzwerken. Seit
der Veröffentlichung des ersten Monitoring-Berichts ist die Zahl der
veröffentlichten Nachrichten weiter angestiegen und überschritt im
Sommer 2024 mit knapp 60.000 Beiträgen pro Monat erstmals den
bisherigen Höchststand aus der Zeit zwischen dem allgemeinen Lockdown
und dem Ende der COVID-19-Maßnahmen zum Jahreswechsel 2021/2022. Die
Nachrichten im Netzwerk weisen dabei noch immer eine relativ stabile
kumulative Reichweite von rund 3,5 Millionen Aufrufen pro Tag auf.
Kanäle, die Verschwörungstheorien verbreiten, agieren weiterhin als
zentrale Knotenpunkte in einem größeren Netzwerk und prägen den
Diskurs maßgeblich.

Zwtl.: Monetarisierung löst politische Mobilisierung sukzessive ab

Im Verlauf des Untersuchungszeitraums lässt sich dabei eine
inhaltliche Verschiebung der Mobilisierungsstrategien in dem
untersuchten Netzwerk beobachten: „Wie die Analyse zeigt, konnten
einige Akteurinnen und Akteure während der Pandemie erhebliche
Reichweiten aufbauen und nutzten diese nun verstärkt, um ihre
Anhängerschaft für monetäre Zwecke anzusprechen“, stellt der
Studienautor Felix Lippe fest. Bezeichnenderweise überstiegen die
monetären Handlungsaufrufe zum Jahresbeginn 2024 mit knapp 2.300
Nachrichten pro Monat den Höchstwert, den politische Handlungsaufrufe
je erreichen konnten, selbst zu Hochzeiten der COVID-19-Pandemie.

Zwtl.: Professionalisierung der Spendenakquise

Wie die Analyse der monetären Aufrufe zeigt, stellen
Spendenaufrufe die mit Abstand häufigste Form der Mobilisierung im
untersuchten Netzwerk dar (31,5 % der Handlungsaufrufe).
Reichweitenstarke Kanäle nutzen ihre zentrale Stellung, um regelmäßig
zu finanziellen Zuwendungen aufzurufen – deutlich häufiger als zum
Kauf von Produkten. Diese Aufrufe folgen zunehmend professionellen
Mustern: Die Kommunikation ist oft standardisiert, mit fest
integrierten Verlinkungen zu Bankkonten oder etablierten
Zahlungsdienstleistern. Viele Spendenaufrufe vermitteln das Gefühl,
durch einen Beitrag aktiv Teil eines kollektiven Widerstands gegen
eine vermeintlich globale Verschwörung oder ein illegitimes System zu
sein. Unterstützungsbitten werden häufig mit Verweisen auf
„politische Repression“ und die Notwendigkeit für die Fortführung des
politischen Aktivismus oder der alternativen Berichterstattung
begründet.

Zwtl.: Telegram als alternativer Marktplatz

Über Spendenaufrufe hinaus zeigt sich im untersuchten Netzwerk
eine zunehmende Kommerzialisierung, bei der reichweitenstarke Kanäle
häufig für die Bewerbung von Produkten als Einnahmequelle genutzt
werden (16,2 % der Handlungsaufrufe). Im Zentrum stehen dabei
insbesondere alternativmedizinische Präparate,
Nahrungsergänzungsmittel, politisiertes Merchandise,
Krisenvorsorgeartikel und verschwörungstheoretisch geprägte
Literatur. Ergänzt wird dieses Feld durch Coachingformate und
energetische Heilangebote. „Die Kommunikation folgt meist einem
einheitlichen Muster: Über dramatisierte Bedrohungsszenarien werden
konsumierbare ‚Lösungen‘ präsentiert, die zugleich identitätsstiftend
wirken“, erklärt der Studienautor Philipp Pflegerl. Die
Produktvermarktung ist eng in ideologische Erzählungen eingebettet,
die verschwörungstheoretische, systemfeindliche und esoterische
Weltbilder transportieren.

Zwtl.: Breite Produktpalette bei gleichzeitiger Dominanz einzelner
Vertriebsplattformen

Trotz der Vielfalt an Anbieterinnen und Anbietern zeigt sich in
der Verbreitung kommerzieller Inhalte ein deutliches
Konzentrationsmuster: Eine kleine Zahl reichweitenstarker Plattformen
– insbesondere der Online-Shop des rechtsextremen „Alternativmediums“
AUF1 und des Kopp Verlags – fungieren als infrastrukturelle
Knotenpunkte und prägen das Vertriebsökosystem maßgeblich. Diese
Online-Shops bieten ein breites Produktsortiment an, das
unterschiedliche Zielgruppen adressiert und von zahlreichen Kanälen
regelmäßig verlinkt wird. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch
die zunehmende Anbindung an den kaufkräftigen Esoterik-Markt, der
über verschwörungstheoretische Narrative erschlossen wird. Häufig
erfolgt die Verbreitung im Rahmen von Affiliate-Programmen, bei denen
die Betreiberinnen und Betreiber der Kanäle im Falle eines Verkaufs
Provisionen oder Umsatzbeteiligungen erhalten.

Zwtl.: Mobilisierung und Monetarisierung

Politische Handlungsaufrufe nehmen seit der Hochzeit des COVID-19
-Protestgeschehens tendenziell ab. Trotz der zunehmenden
Monetarisierung bleibt politische Mobilisierung jedoch ein
konstitutives Element der Netzwerkaktivität. Die Spannbreite reicht
von Demonstrations- und Wahlaufrufen (13,4 % bzw. 4,2 % sämtlicher
Handlungsaufrufe) über Petitionen (4,8 %) bis hin zu
Rekrutierungsversuchen (12,2 %). Einladungen zu Events (17,7 %)
erfüllen eine doppelte Funktion: Einerseits ermöglichen sie
politische Mobilisierung, andererseits die Generierung
wirtschaftlicher Einnahmen. Häufig sind diese Inhalte mit
polarisierenden Positionen verknüpft. Darüber hinaus lassen sich
koordinierte, kanalübergreifende Mobilisierungsstrategien
identifizieren, in denen verschwörungstheoretische Narrative mit
einem grundsätzlichen Widerstandsdiskurs gegen demokratische
Institutionen verknüpft werden. Die Analyse zeigt, dass sich die
reichweitenstärksten Kanäle, die politisch mobilisieren, in vielen
Fällen mit jenen überschneiden, die zugleich auf monetäre Einnahmen
ausgerichtet sind.

Zwtl.: Schlussfolgerung

Verschwörungstheorien greifen reale Unsicherheiten auf und
verwandeln sie in ideologische wie ökonomische Geschäftsmodelle – mit
teils erheblichen sozialen und politischen Folgewirkungen. Die
Ergebnisse des Berichts zeigen, wer die Wirkmechanismen von
Verschwörungstheorien verstehen will, muss die ökonomische Dimension
mitdenken. Verschwörungstheoretische Narrative werden von manchen
Akteurinnen und Akteuren gezielt genutzt, um sich zu finanzieren und
angstfördernde sowie polarisierende Inhalte niederschwellig zu
verbreiten. Um dem wirksam zu begegnen, braucht es regulatorische
Kontrolle, Transparenzpflichten für digitale Plattformen sowie
gezielte rechtliche Prüfungen – etwa bei potenziell
gesundheitsgefährdenden Produktverkäufen und falschen
Heilsversprechen. Ergänzend braucht es kontinuierliches Online-
Monitoring, damit Entwicklungen frühzeitig erkannt und eingeordnet
werden können. Langfristig sind politische Bildung, Medienkompetenz
und Resilienzförderung zentrale Voraussetzungen, um insbesondere
vulnerable Gruppen vor manipulativen Angeboten zu schützen.

Zwtl.: Methoden

Die Analyse basiert auf einem Korpus von 332 öffentlich
zugänglichen österreichischen Telegram-Kanälen, erhoben über die
Telegram API im Zeitraum von Oktober 2017 bis Oktober 2024.
Ausgangspunkt waren die 30 reichweitenstärksten Kanäle, die
Verschwörungstheorien verbreiten, ergänzt um alle öffentlichen
Kanäle, die deren Inhalte regelmäßig weiterleiten und damit deren
„Verbreitungsnetzwerk“ darstellen. Insgesamt wurden rund 2,3
Millionen Nachrichten erfasst. Private Chats, geschlossene Gruppen
und Nutzerkommentare blieben explizit unberücksichtigt. Für die
Auswertung kam eine methodische Kombination aus quantitativen und
qualitativen Verfahren zum Einsatz. Mittels speziell trainierter KI-
Sprachmodelle wurden Nachrichten automatisiert sieben induktiv
identifizierten Handlungsaufrufen zugeordnet. Etwa 6 % der Beiträge
wurden als handlungsauffordernd klassifiziert und im Anschluss
vertiefend qualitativ analysiert – mit Fokus auf Narrative,
Argumentationsmuster und Kommunikationsstrategien. Neben den
quantitativ durchgeführten Analysemethoden, die sich auf eine
Kombination aus automatisierten und qualitativen Techniken stützen,
war die händische Überprüfung und Bewertung der Kanäle und
Nachrichten von zentraler Bedeutung.

„Meinungsfreiheit, Versammlungsrecht und politische Teilhabe sind
Grundpfeiler der Demokratie – ebenso ist es grundsätzlich zulässig,
durch Spenden oder Produktverkäufe finanzielle Mittel für politische
Projekte zu generieren. Problematisch wird es dort, wo diese Mittel
gezielt eingesetzt werden, um demokratische Institutionen zu
delegitimieren, Misstrauen zu schüren und von Verschwörungstheorien
geprägte Gegenöffentlichkeiten zu etablieren.“

Ulrike Schiesser, Psychologin und Psychotherapeutin,
Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen

„Wie unser Bericht zeigt, gibt es einen kleinen Kern
reichweitenstarker Kanäle, die Verschwörungstheorien gezielt als
Geschäftsmodell nutzen. Bereits während der COVID-19-Pandemie führten
besonders aufdringliche oder intransparente Spendenaufrufe allerdings
zu Irritationen und Kritik innerhalb von Teilen der Anhängerschaft.
Ob die zunehmende Monetarisierung einen nachhaltigen
Glaubwürdigkeitsverlust für zentrale Akteurinnen und Akteure ergibt,
bleibt abzuwarten.“

Felix Lippe, Psychologe, Studienautor und wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Bundesstelle für Sektenfragen

„Wir sehen auch mit Blick auf Österreich, dass das Geschäft mit
der Angst zunehmend professionell betrieben wird. Zentrale
Akteurinnen und Akteure wie das rechtsextreme ‚Alternativmedium‘ AUF1
oder der seit vielen Jahren etablierte Kopp Verlag vermarkten über
ihre Vertriebsnetzwerke ein breites Produktsortiment – von
Nahrungsergänzungsmitteln und Krisenvorsorgeartikeln über
verschwörungstheoretische Literatur bis hin zu esoterischen Produkten
und politischem Merchandise.“

Philipp Pflegerl, Politikwissenschaftler, Studienautor und
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesstelle für Sektenfragen

Der Monitoring-Report steht auf www.bundesstelle-
sektenfragen.at/veroeffentlichungen/ zum Download zur Verfügung.